Ruwenzori 2012 – wo der Nil vom Himmel fällt

Der Pfad führt steil hinunter durch den Urwald, mal im Bach, mal auf Moos

Bericht von Eva Krieg, 11.01.2012

Der Beginn dieses Abenteuers verlief bei einigen von uns etwas harzig. Die ugandische Botschaft hatte kurzfristig verlauten lassen, dass ich ein veraltetes Visaformular ausgefüllt hätte und dass Christine auf den Passbildern bitte nicht zu lachen habe. So reisten wir beide am Samstagmorgen mit einem komischen Gefühl zum Flughafen Kloten, ohne Pass, voller Vertrauen, dass da tatsächlich der Lothar mit unseren Pässen stehen würde. Nun, der Lothar war samt Pässen vor Ort und wir waren sehr erleichtert. Beim Gate stiessen wir auf Thomas. Der Flug nach Istanbul verlief problemlos. Beim Aussteigen trafen wir Hermann und Christine und später auch Andrea und Uli, die aus München angereist kamen. Jetzt war unsere Gruppe komplett. Doch dann folgte der nächste Schreck: Ich bekam für den Nachtflug nach Entebbe keinen Sitzplatz, sondern lief unter „Standby“. Das machte mich nervös. Lange Wartezeit, hektisches türkisches Bodenpersonal. Endlich wurde ich aufgerufen und nach einigen Rochaden im Flugzeug war ich definitiv unterwegs nach Uganda.

Am Sonntagmittag erreichten wir das „Ruwenzori View Guest House“ in Fort Portal. Nach dem Zimmerbezug werden wir zum Mittagessen in den „Garden Eden“ eingeladen. Dort fallen uns imposante geschnitzte Gorillas auf und wir frotzeln darüber, wo wir diese zuhause aufstellen könnten. Während dem afrikanischen Essen mit „Matoke“ und „Groundnut-Sauce“ hören wir aus der Ferne das „Allahu akbar“ des Muezzins und gleich darauf „Stille Nacht, heilige Nacht“ auf Deutsch! Es weihnachtet sehr.

Das Abendessen nehmen wir gemeinsam mit andern Reisenden an einem grossen ovalen Tisch im Guest House ein. Ich mag diese „Grossfamilien-Atmosphäre“. Es gibt Suppe, Reis, Gemüsegratin, Beef Stew und zum Dessert eine Art Erdbeer-Streuselkuchen mit Vanillesauce. Ich habe mich im Flugzeug erkältet, bin heiser und habe leichtes Halsweh. Das Zimmer teile ich mit Brigitte. Sie schläft sofort ein, während ich mir unter einem dünnen, lauwarmen Wasserstrahl noch die Haare wasche. Beim Einschlafen tauchen Bilder der landschaftlichen Szenerie Ugandas auf. Viel Grün… und Teeplantagen, die wie dichte, über die Hügel gelegte, grüne Teppiche aussehen.

Heute Montag geht es richtig los. Wir fahren mit zwei Kleinbussen Richtung Ruwenzori-Nationalpark. Vor Kasese biegt der Fahrer nach Ibanda ab. Plötzlich bleibt der Motor stehen. Der Blick in die Autobatterie ist abenteuerlich, ein eingeschlagener Nagel dient als elektrischer Kontakt. Jetzt hilft nur noch Anschieben. Da unsere Route leicht abschüssig ist, gelingt das Manoeuvre. Die Gegend ist schön: üppiges Grün mit dem Kontrast der Terra Rossa.

Im RMS (Ruwenzori Mountaineering Services) Büro wird unser Gepäck gewogen und die Träger werden angeheuert. Ich habe es nicht hingekriegt, mein Gepäck auf 12 kg zu beschränken und muss extra bezahlen. Trotzdem finde ich unseren Tross gigantisch. Es ist kaum zu glauben, dass unser Häufchen von acht Alpinisten 34 Träger, 2 Köche und 6 Guides braucht. Wir nennen dies innerhalb der Gruppe „aktive Entwicklungshilfe“. Zudem sind während unserer Tour meist 2 Ranger und 2 bewaffnete Soldaten zugegen. Letztere sollen uns laut Chief-Guide begleiten, damit sie über die Feiertage beschäftig sind und keine Saufgelage halten.

Wir ziehen vor den Trägern los. Viele malerische Szenen unterwegs: Frauen mit riesigen Holzbündeln, lachende Kinder mit dürftigen Kleidern… aber sie alle wollten partout nicht fotografiert werden. Nach ca. 1h Aufstieg fängt es gewaltig zu kübeln an, ein richtiger Tropenregen bricht über uns herein. Später erreichen wir einen Unterstand, wo wir unseren Lunch verspeisen. Der Weg ist gesäumt von rauschenden Bächen mit – laut Einheimischen – Trinkwasserqualität. Aber das Wasser hat definitiv einen rötlichen Touch. Oft geht es steil bergauf, manchmal hat es Stege und Treppen wie bei den „Guyer-Zeller Wanderwegen“ im Zürcher Tösstal. Ausser einem dreihörnigen Chamäleon, Ameisen, Schmetterlingen und Vögeln zeigen sich keine Tiere, hingegen ist die Pflanzenwelt extrem vielfältig. Die Nyabitaba-Hütte ist grösser und komfortabler als erwartet. Sie bietet Kajütenbetten mit Matratzen und da wir die einzigen Gäste sind, können wir uns nach Belieben ausbreiten. Gegen 17:30 Uhr beginnt es einzudunkeln und gegen 18:00 Uhr treffen die ersten Träger ein. Mein Träger kommt als Letzter in strömendem Regen an, somit ist mein Gepäck teilweise nass.

Uli, unser Bergführer, bereitet mit einem Benzinkocher heisses Wasser zu, während Hermann die Benzinlampe so umbauen will, dass er darauf auch Espresso zubereiten kann. Zum Znacht gibt es Spaghetti, wahlweise mit Groundnut-Sauce oder Poulet-Topf und zum Dessert frische Ananas. Später zaubert Brigitte Weihnachtsgutsli hervor und Uli stellt eine kleine faltbare Papierkrippe mit Kerzli auf. Wir verbringen den Heiligen Abend auf 2651 m ü. M. Die erste Strophe von „Stille Nacht, heilige Nacht“ kriegt unser Bergsteigerchor problemlos hin, aber schon bei der zweiten Strophe müssen wir passen. Uli hat zum Glück einen iPod-Lautsprecher und passende Musik dabei, so verbringen wir den Feiertag in angemessen heiterer Stimmung. Ich schlafe mit Lothar und Thomas im selben Raum. Letzerer meinte am Morgen, dass ich schnarche. Help!

Heute ist Weihnachten. Der Himmel ist klar. Nach dem Frühstück marschieren wir in Gummistiefeln los. Angesagt waren 6-7h Marsch, doch wir erreichen die John Matte-Hütte (3350 m ü. M.) schon nach 5:15 Stunden. Sie ist herrlich gelegen, auch waren die Träger heute vor uns da. Bei unserer Ankunft scheint die Sonne und wir hängen hoffnungsvoll unser Zeug zum Trocknen aus, doch nach einer halben Stunde ist der Spuk schon wieder vorbei. Die Crew sitzt in einer offenen Hütte um ein Feuer, an der Wand hängt ein grosses Stück Fleisch an einem Nagel. Wir treffen uns um 15:00 Uhr zum „Zvieri“. Uli hat viele gluschtige Snacks mitgebracht, ausserdem gibt es heisses Wasser und Kaffee. Beim späteren Nachtessen bin ich froh, dass es für uns „nur“ Gemüseeintopf gibt, denn das gruselige Stück Tier in der Hütte der Träger hatte alles andere als appetitlich ausgesehen. Ich schlafe im Esszimmer, aber zum Glück untere Etage, denn es hat keine Leitern für die oberen Betten. Da es an meinem Schlafplatz so richtig zugig ist, baut mir der geniale Hermann mit Pickel, Tischtuch und Isolierband einen Windschutz. Später in der Nacht haut sich der lange Joël in die obere Etage des Kajütenbetts. Ich schlafe sehr oberflächlich, höre jedes Geräusch (Joël schnarcht auch!) und irgendwann beginnt es zu tagen und ich darf aufstehen.

Da ich meine feuchten Socken über Nacht im Schlafsack anbehalten hatte, kann ich heute mit trockenen Socken in noch immer feuchte Gummistiefel schlüpfen. Apropos Gummistiefel: Es ist erstaunlich, wie gut es sich damit gehen lässt. Niemand von uns hat Blasen oder Druckstellen. Am Anfang ist der Aufstieg zur nächsten Hütte ähnlich wie gestern, dann führt er eine Weile dem Fluss Bujuku entlang, den wir irgendwann überqueren. Später geht es steil bergauf über Stock und Stein bis zum unteren Bigo Bog. Dort führt ein mehrere hundert Meter langer Steg über den Sumpf. Nach einem weiteren steilen Aufstieg in Morast und Schlamm erreichen wir den Upper-Bigo Bog, wo wieder ein langer Steg das Vorwärtskommen vereinfacht. Man muss sich konzentrieren, damit man immer schön auf die einzelnen Latten tritt. Das Ganze ist so repetitiv, dass man fast auf den „Psycho“ kommt und hin und wieder anhalten muss, um sich umzusehen und neu zu sammeln. Uli fordert mich auf, zuvorderst zu gehen, direkt hinter dem einheimischen Guide Erick, damit ich das Tempo bestimmen könne. Ehrlich gesagt, empfinde ich es immer noch als schnell. Ein Schritt beim Einatmen, ein Schritt beim Ausatmen, dies schön stetig, aber halt eben in grosser Höhe und steilem, sumpfigen Gelände. Manchmal muss man von Grasbüschel zu Grasbüschel balancieren oder gar springen. Manch einer oder eine sank auch bis zu den Knien ein, so dass es darauf zu achten galt, den Fuss samt Stiefel aus dem Morast zu ziehen. Das dazugehörige Geräusch ist schwierig zu beschreiben, man stelle es sich als eine Art unanständiges Schlürfen vor, jedenfalls ein „Flutsch-Glubsch“ bei jedem Schritt. Weiter dem Bujuku entlang treffen wir nach dem Mittag beim Bujuku-See ein. Schade, dass es kein Ruderboot gibt, so müssen wir halt weiter über Sumpf und Morast balancieren. Die Bujuku-Hütte liegt auf 3962 m ü. M. mitten in einem Märchenwald, wo viele schmal- und breitblättrige Senezien wachsen. Beide haben unterschiedliche Blütenstände. Dazwischen wachsen Baumfarne und Strohblumenbüsche. Alles wächst viel üppiger als am Kilimanjaro. Besonders reizvoll ist der dichte Moosteppich am Boden, man versinkt beim Schreiten regelrecht in den weichen Moospolstern. Ganze Felswände sind mit Moos überzogen, ebenso abgestorbene Senezien, die dann wie komische Figuren aussehen und einen surrealen Eindruck hinterlassen. Heute schien die Sonne nur wenige Minuten, aber wenigstens hat es nicht geregnet. Wir waren um 08:55 Uhr gestartet und erreichten die Bujuku-Hut um 13:05 Uhr. Somit brauchten wir inklusive Rast 4:10 h. Sag ich doch, wir sind schnell, denn offiziell war von 5h die Rede. Es gibt wiederum einen Zvieri, wiederum ein Kajütenbett, wiederum Katzenwäsche. Dann streife ich im Zauberwald umher, bevor ich mich wie die andern zu einem Schläfchen hinlege. Uli weckt uns mit einem Latino-Song, so macht Aufstehen Spass. Eigentlich habe ich gar keinen grossen Appetit, esse aber trotzdem. Danach tratschen wir und hören Musik. Ich schlucke vor dem Zubettgehen ein Pretuval, weil mir meine Erkältung zu schaffen macht.

Heute Donnerstag ist Akklimatisationstag und wir wollen den Mt. Speke (4890 m ü. M.) besteigen. Tagwache ist um 05.45 Uhr, Frühstück um 06:00 Uhr, geplanter Abmarsch um 06:30 Uhr. Bis alle parat sind, wird es allerdings 06:50 Uhr. Die Träger hatten beim Briefing gestern Abend gestaunt, dass Uli erst bei Tagesanbruch und nicht mit Stirnlampen losmarschieren will. Eine wahrlich vernünftige Entscheidung. Zuerst marschieren wir durch dichten Senezienwald. Später lichtet sich die Vegetation, aber es bleibt sumpfig und matschig, nur dass wir jetzt mit den schweren Schuhen, statt mit den Gummistiefeln im Morast versinken. Frühmorgens war das Wetter noch klar, doch für den Rest des Tages bleibt es trüb mit feinem Nieselregen. Für mich überraschend gibt es eine Kletterpartie auf moosigem, rutschigem Fels. Mit Hilfe von Wurzeln, Ziehen von oben und Stossen von unten komme ich irgendwie hoch. Leider stürzt Thomas. Er schliddert mehrere Meter nach unten, bevor er sich zum Glück an einer Senezie festhalten kann. Sonst wäre der Sturz tragisch ausgegangen, da das Gelände steil ist. Thomas begleitet uns noch ein Weilchen, dann bemerkt er, dass ihm der Sturz doch allzu sehr in die Knochen gefahren ist. Er beschliesst nicht weiterzugehen, so lassen wir ihn mit einem Guide zurück. Zuerst geht es weiter aufwärts über moosige Steine und Wiesen, dann fängt der Schnee an. Er ist weich und man fasst gut Tritt. Pro Atemzug ein Schritt. Als wenig später wieder so eine rutschige, steile Felspassage auftritt, wird es Uli zu bunt und er richtet ein Fixseil ein, so dass wir gesichert hochklettern können. Eine halbe Stunde vor dem Gipfel kann ich kaum noch sprechen vor Erschöpfung. Uli gibt mir „Energizer-Gummibärli“ und ich deponiere meinen Rucksack. So geht es viel besser und um 11:15 Uhr erreichen wir alle den Gipfel. Da der Gletscher zugeschneit ist, montieren wir keine Steigeisen. Beim Abstieg sichert uns Uli an beiden Kletterstellen mit dem Seil. Ich liebe Abseilen! Die einheimischen Guides sind technisch überfordert, sie haben keine „Gstältli“ und der eine ist gar mit Gummistiefeln auf den Gipfel gekraxelt.

Zurück in der Hütte, stellen wir fest, dass wir nicht mehr die einzigen sind. Sarah aus Frankreich und drei Belgier sind eingetroffen. Wir müssen zusammenrücken und unsere luxuriösen Platzverhältnisse etwas einschränken. Meine schönen neuen Bergschuhe sind unter der Dreckschicht kaum mehr zu erkennen. Mit dem restlichen Bettflaschenwasser der letzten Nacht schrubbe ich meine schmutzigen Hände einigermassen sauber. Um 19:40 Uhr sind wir alle im Bett. Trotz einem weiteren Pretuval huste ich stark und schlafe schlecht.

Heute ist Gipfeltag! Wir starten wie gestern um 06:50 Uhr, um 12:15 Uhr sind wir auf dem Gipfel und um 15:00 Uhr in der Elena-Hut (ca. 5 1/2 h Aufstieg, ca. 2 1/2h Abstieg). Die Guides wollen, dass wir die schweren Schuhe tragen, sie selbst tragen jedoch im ersten Teilstück Gummistiefel und ziehen die schweren Schuhe erst später an. Logo! Wir starten wieder mal im Sumpf! Schon bald versinkt Uli in einem Schlammloch und hat den ganzen Tag nasse Füsse. Nach mehreren hundert Metern verliert Hermann die Geduld und flucht lauthals auf gut ostschweizerisch. Er hat ja recht! Es wäre durchaus machbar gewesen, die Sumpfstrecke in Gummistiefeln zu passieren, wenn ein Träger uns die erste halbe Stunde begleitet hätte und dann die Stiefel zurückgetragen hätte.

Später steigen wir durch dichten Urwald hoch: Senezien und viel, viel Moos. Es geht einfach nur steil bergauf. Weiter oben Schnee und Fels. Wegen Nebel und Schnee kriegen es die einheimischen Guides nicht hin, sich auf eine Route zu einigen. Der Chief-Guide geht am Schluss unserer Truppe und die Hilfs-Guides wollen sich alle mit einer eigenen Routenwahl profilieren. Jetzt „haut es unserem Hermann definitiv den Nuggi raus“. Er poltert, dass es nicht angehe, dass alle Guides ein bisschen Führer spielen wollen und dass der Chief-Guide gefälligst seinen Job erledigen solle. Streit liegt greifbar in der Luft. Mir ist gar nicht wohl bei der Sache und Andrea kauert am Boden und hält sich die Ohren zu. Uli gelingt es, die Guides zu beruhigen. Er spricht klar und deutlich aus, wo das Problem liegt. Die Guides sind einsichtig, ausser Santa-Claus-Mütze-Joel, der weiterhin trotzt. Hermann kann stümperhaftes Vorgehen einfach nicht ertragen, ansonsten jedoch ist er überaus friedlich und zudem sehr hilfsbereit (er trägt meine schweren Sachen und später gar meinen Rucksack). Wir stapfen Schneefelder hinauf, dann gilt es die Steigeisen zu montieren und weiter geht’s über den verschneiten Stanley-Gletscher. Ein Schritt pro Aus- und Einatmen für mich. Thomas sagt mir später, dass er ganz froh war, dass ich „langsam“ ging. Jedenfalls ist der Aufstieg für mich streng, ich konzentriere mich aufs Atmen und mag nicht mehr sprechen. Hinter mir wird manchmal fröhlich geplaudert und ich mag es sehr, meinen lieben Berggenossen zuzuhören. Es ist neblig. Zum Glück hat es weiter oben Spuren, an denen sich die Guides orientieren können. Beim Aufstieg gibt es ein Stück mit Fixseil. Vor dem Gipfel ziehen wir die Steigeisen aus, mein Rucksack bleibt auch liegen. Der Rest ist Kletterei im zweiten Grad, bei den Schlüsselstellen brauche ich Hilfe.

Kurz nach Mittag erreichen wir die Margherita-Spitze. Auf dem Gipfel erfolgt das übliche Prozedere: Küsschen, Umarmungen und Fotos. Ich lasse es mir nicht nehmen, meine Füsse ein paar Meter in den Kongo zu steuern, damit ich auch da mal gewesen bin ☺ , selbst wenn ich vor lauter Nebel nicht weit sehe.

Während dem Abstieg beginnt es zu schneien. Die Aussicht wäre theoretisch wunderschön. Meinem Gefühl nach rutschen wir Hunderte von Metern runter, dann heisst es plötzlich – oh Schreck! – wieder steigen, hoch zum Stanley-Sattel. Ich bin müde, doch es geht weiter. Später folgt viel Kletterei mit Steigeisen. Eisen auf Fels. Der Schneefall wechselt zu Regen. Zum Dessert gibt es eine lange pflutschnasse Fixseilstrecke, sowohl runter als auch quer. Endlich kommt die Elena-Hütte in Sicht. Hilfe! Eine kleine wellblechgedeckte Hütte von ca. 4x5m Ausmass. Da hinein müssen wir uns - nass wie wir sind - mitsamt unserem Gepäck pferchen. Nach einer Weile haben wir uns eingerichtet und liegen wie Sardinen eng beieinander warm in unseren Schlafsäcken. Dank Ulis Soundmaschine und der guten Laune aller Teilnehmer fühlen wir uns bald wie in einem Zwei-Stern-Hotel. Es gibt warme Suppe und geröstete Erdnüsse. Einzig der Gang zur Toilette bleibt ätzend: Tümpel, glitschige Steine, Leitern mit fehlenden Sprossen. Hoffentlich muss ich nachts nicht raus. Es regnet in Strömen. Einige mögen heute gar nichts essen, andere mampfen in ihren Schlafsäcken.

Die Belgier brechen ziemlich lärmig morgens um 4 Uhr auf. Ich döse noch etwas vor mich hin, bin aber ganz froh, als es endlich tagt. Wir machen uns - wieder einmal in Gummistiefeln - auf den Weg zur Kitandara-Hütte. Es ist extrem rutschig. Der Pfad führt steil hinunter durch den Urwald, mal im Bach, mal auf Moos. Wir erspähen den oberen Kitandarasee und gelangen wenig später zum unteren, mit der malerisch am Ufer gelegenen Hütte. Nach einer kleinen Rast geht es hinauf zum Freshfieldpass. Der Weg führt mehr oder weniger direttissima steil aufwärts, über Wurzeln, Stock und Stein. Wenigstens erreicht man auf diese Weise schnell viele Höhenmeter. Vom 4215m hoch gelegenen Pass geht’s dann nur noch runter, aber wie! Kilometerlang durch Sumpf und Morast. Jemand, der das nicht selbst erlebt hat, kann sich das wohl nur schwer vorstellen. Es ist ein anstrengendes Gehen, weil man sich andauernd konzentrieren muss, wo man hin steht, sonst hat man schnell einen Stiefel voll rausgezogen oder landet gar ganz im „Gaadsch“ wie Andrea sagen würde. Ausserdem muss man die Füsse immer mit Kraft aus dem Dreck ziehen, dann tönt es so flutschig und riecht nach Erdinnerem. Die Regenzeit hat sich heuer verlängert, wir sind den ganzen Tag im Nebel und um halb eins fängt es an zu regnen. Irgendwie passt’s zu dieser unwirklichen, mystischen Natur. Unser Team ist echt super! Alle haben trotz widriger Bedingungen gute Laune und wir haben viel zu lachen. Seltsamerweise sehen wir keine Tiere, keine Würmer, keine Schnecken, keine Frösche. In den letzten Tagen hatte ich nur eine Ratte und einen gelben Vogel gesehen. Der Bigo Bog hört bei einem Fluss auf. Es ist immer noch feucht und sumpfig, aber nicht mehr so sehr. Unterwegs treffen wir zweimal auf Felsüberhänge unter denen es trocken und staubig ist. Hier hatten frühere Expeditionen ihre Lager aufgeschlagen. Wir überqueren den Mubuku zweimal und sehen uns einen Wasserfall an. Die Ebene, die zur Guy Yeoman-Hütte führt, ist traumhaft schön, vielleicht das schönste Wegstück überhaupt. Unwirklich anmutende Riesenlobelien. Zwei waren frisch abgebrochen und entblättert, hier hatten sich Affen gütlich getan. Nach 7,5h erreichen wir die Hütte. Sie ist im Gegensatz zur Elenahütte regelrecht luxuriös. Unser Zeug ist mittlerweile alles nass und schmutzig. Nichts trocknet hier, weil es so feucht ist. Brigitte und ich haben herausgefunden, dass sich die untere Schale der Proviant-Tupperware bestens für ein warmes Fussbad eignet. So betreiben wir etwas Teewasser-Missbrauch. Aber eigentlich gehen wir mit dem warmen Wasser sehr sorgsam um. Brigitte brachte es auf den Punkt: Leeres Cola-Fläschchen als Bettflasche mit warmem Wasser füllen. Socken zum Trocknen darüberstülpen. Nachts lässt sich bei Durst daraus trinken und am Morgen kann man mit dem Rest die Zähne putzen.

Nach dem Nachtessen diskutieren wir hitzig über die Verteilung der Trinkgelder an unsere Mannschaft. Dem Koch und seinem Assistenten gewähren wir vorbehaltlos eine Lohnerhöhung. Die Guides hingegen werden etwas zu Ader gelassen, wegen schlechter Organisation und gefährlichen Etappen am Mt. Speke. Die Differenz verteilen wir gleichmässig auf die Porter.

Am Sonntagmorgen marschieren wir bei schönstem Wetter ab. Zum Frühstück zauberte Alisha uns feine „Rolex“ sprich: Rolled Eggs. Wie üblich folgen sich Schlamm- und Sumpfpassagen und leichte Felsklettereien. Um 12 Uhr erreichten wir die Nyabitaba-Hütte, wo uns frische Ananas serviert wird. Eigentlich wäre eine Übernachtung in der Nyabitaba vorgesehen gewesen, aber wir haben alle das dringende Bedürfnis nach einer warmen Dusche. Daher steigen wir ins Tal ab und erreichen um 14:30 Uhr den Parkausgang, dann die RMS-Lodge. Hier verabschieden wir unsere Mannschaft. Auf zwei Tischen verteilen wir unsere „Gaben“, nummerieren sie und schreiben Lose, die wir zusammengefaltet in einen Sack stecken. Christina spielt die Glücksfee und beschenkt jeden Träger oder Guide mit ihrem charmanten Lächeln und dem ausgelosten Gegenstand. Thomas hantiert mit den Banknoten und teilt die Trinkgelder in Portionen. Uli überreicht die Couverts zusammen mit einem herzlichen Dank für die geleistete Arbeit. Draussen regnet es sintflutartig, inklusive Blitz und Donner. Zusammen mit Jukebox und TV ist der Lärmpegel so hoch, dass man das eigene Wort kaum versteht.

Uli teilt uns mit, dass wir in „Cottages“ untergebracht seien. Wow! Tönt gut. Später sind wir allerdings etwas gefrustet, denn die Lodge bietet nicht das Erwartete an. Für den stattlichen Preis von 50 US$ gibt es keinen elektrischen Strom, kein Warmwasser und in einigen Bungalows nicht mal fliessendes Wasser oder Toilettenpapier. Das Abendessen ist einfach, kein Dessert, kein Kaffee. Wir laden den langen Joel ein, an unserem Tisch zu essen. Irgendwie kommt die Rede auf seine Eltern und er erzählt, dass seine ganze Familie - bis auf einen Bruder - bei dem Gemetzel des Völkermords in Rwanda umgekommen sei. Joel bricht in Tränen aus und wir sind hilflos und bedrückt und ahnen was für ein schreckliches Trauma auf dem ganzen Volk lastet.

Heute Montag ist Silvester. Hermann braut mir mit seiner Espressokanne einen feinen Lavazzo und meine Lebensgeister erwachen. Dann warten wir auf unsere Kleinbusse. Brigitte stellt lapidar fest: „Halb zehn Uhr ist, wenn die Busse da sind, nicht umgekehrt. Schliesslich sind wir in Afrika.“ Um 10 Uhr beschliessen wir, das Verladen unseres Gepäcks den Fahrern zu überlassen und brechen zu Fuss zum Headquarter des Parks auf. Es dauert ein Weilchen, bis unsere Diplome ausgestellt sind. Der Boss übergibt sie uns feierlich. Zu mir sagt er wörtlich: „You are an old woman, but you were on the top.“ Charmant der Herr. Dann fahren wir los Richtung Queen Elizabeth Nationalpark. Unterwegs überqueren wir den Äquator. Die luxuriöse Mweya-Lodge katapultiert uns abrupt von 0 Sterne auf 5 Sterne. Bevor wir unsere Zimmer beziehen, werden wir eingeladen, das Mittagessen einzunehmen. Wir alle stürzen uns auf das Salatbuffet, wir sind richtig ausgehungert, was frisches Gemüse anbetrifft. Das „cook it, peel it or leave it“ tritt definitiv in den Hintergrund.

Später spaziere ich in der Hotelanlage herum. Es ist ganz einfach auszumachen, wo meine lieben Bergfreunde logieren, nämlich dort wo vor den Terrassen viel Material zum Trocknen ausgebreitet in der Sonne liegt. Für das Silvester-Gala-Dinner hätte ich ganz gerne etwas Nettes angezogen, aber auf der Materialliste von Kobler & Partner war kein Paillettenkleid vorgesehen.

Wir trinken Pina Colada, der wie Milchshake schmeckt. Vom Spanferkel tropft das Fett in die Glut. Die Boxen des ugandischen DJs scheppern und die Töne überschlagen sich auf der Tanzfläche aus Golfrasen. Es ist immer wieder erstaunlich wie viele Talente einige Menschen haben: Hermann und Christina tanzen filmreif – notabene in Wanderschuhen. Das Publikum macht Platz und schaut hingerissen zu. Andrea blüht bei einem Jive regelrecht auf und Uli kann nicht nur am Berg gut führen. Der Star des Abends ist allerdings ein ca. fünfjähriger kleiner schwarzer Bub, der das Tanzen im Blut hat. Thomas und Lothar bleiben bis Mitternacht standhafte Nichttänzer, dann verfallen auch sie den Reggae-Rhythmen. Ich selbst fand es schlicht und einfach herrlich, ins Neue Jahr zu tanzen. So was ist mir schon lange nicht mehr passiert.

Nach kurzer Nacht treffen wir uns am Neujahrsmorgen um 06:30 Uhr an der Rezeption zu einem Early Morning Game Drive. Wir sehen Elefanten, Gazellen und Antilopen, aber die Tiere machen sich eher rar. Nach einem ausgiebigen Frühstück haben wir dann Zeit für uns. Am späteren Nachmittag brechen wir zu einer Wasser-Safari auf dem Kazinga-Channel auf. Diese ist grossartig. Vom Oberdeck eines Flussschiffs aus können wir viele Tiere beobachten, die sich an den Ufern des Kanals aufhalten, der den Lake George mit dem Lake Edward verbindet. Viele Vögel, Wasserbüffel, Flusspferde, Elefanten und sogar Süsswasserkrokodile zwistiglich vereint beim Suhlen und Baden.

Heute trennen sich unsere Wege. Uli, Thomas und ich machen uns parat für die 9stündige Busfahrt Richtung Entebbe, während unser Gorilla-Team Richtung Bwindi aufbricht.

Text: Eva Krieg

Bilder: Lothar Supersaxo