Bericht und Fotos von Bergführer Uli
„Climate change is not real“, würde ein orangehaariger, cremegebräunter Amerikaner fortgeschrittenen Alters sicher sagen – wenn sich im Anflug auf Longyearbyen auf Spitzbergen aus dem Flugzeugfenster all die quadratkilometergroßen Packeisfelder und zugefrorenen Buchten und Fjorde zeigen. Bei unserer Ankunft auf unserem schwimmenden Zuhause für die kommende Woche, der Noorderlicht, erklärt uns Kapitän Alvaro aus Spanien, dass er und seine Crew für die Überfahrt aus Tromsö zwei Tage länger gebraucht haben als geplant – zu viel Packeis habe ihnen den Weg versperrt und nur ein langsames Vorwärtskommen ermöglicht. Die Fjorde seien zugefroren wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Aufgrund der Eissituation (kein Ankern in den windgeschützten Fjorden möglich) und eines Sturms der die Passage nach Ny Alesund (unser eigentliches und nördlichstes Ziel der Reise) unmöglich macht, entschieden wir uns die ersten beiden Nächte der Woche im Hafen von Longyearbyen zu verbringen und von dort eine Skitour zu machen und das Dorf zu erkunden. Ein unscheinbares Loch im Gletscher auf unserer ersten Skitour ließ uns in eine surreale eisige, aber auch windgeschützte Welt unter dem Gletscher abtauchen. Ein Schmelzwasserkanal der nur im Winter begehbar ist, ließ uns nahezu 100 Meter unter den Gletscher abtauchen.
Kräftig durchgelüftet von unserer Skitour und nach einem Besuch im (Husky-Streichel-) Café von Longyearbyen oder zu einem Cider im Coleminers verbrachten wir noch die zweite Nacht im Hafen. Am nächsten Morgen war es dann schon deutlich ruhiger auf dem Meer und wir starteten ganz entspannt mit der Noorderlicht in Richtung erste Skitour. Da in Spitzbergen um diese Jahreszeit schon 24 Stunden die Sonne scheint, ist es möglich zu nahezu jeder Tageszeit auf eine Skitour zu starten (was der Biorhythmus halt hergibt ). So starteten wir wesentlich später als in den Alpen üblich zu unserer ersten Skitour auf den Janusfjellet. Roose, unsere niederländische Köchin, erwartete uns bei Rückkehr mit einer heißen Suppe und kleinen Snacks.
Nach und nach ergab es sich, dass wir aufgrund der Eissituation, anstatt weiter Richtung Norden zu segeln, unsere Skitourenwoche im Großraum um Longyerabyen verbringen – kein Problem, denn auch dort gibt es genügend Möglichkeiten zum Touren.
Ein Versuch am vierten Tag in der Colebukta an Land zu Gehen, wurde uns durch zu flaches Gelände am Ufer in Verbindung mit maximalem Tiefstand durch Ebbe verwehrt – unsere Entscheidung zurück an Bord zu gehen und noch einen Kaffee zu trinken und auf die Flut zu warten, wurde durch Captain Alvaro (der bei unserer Rückkehr sichtlich etwas nervöser wirkte als beim Verlassen des Schiffs 30 Minuten zuvor) revidiert. Ein großes Packeisfeld schob sich durch den Wind und die beginnende Flut angetrieben in die kleine Colebukta und der Kapitän hatte Bedenken, durch den massiven Eisdruck weiter in die Bucht und auf Grund geschoben zu werden. Das Dingi (kleines Beiboot zum Anlanden) wurde schnell an Bord gehoben und wir starteten im Schneckentempo zu einer abenteuerlichen Fahrt durch dieses gigantische Eisfeld. Mit Crewmitglied Maria und Ihrem Funkgerät auf dem Mast wurden wir durch das Eisfeld manövriert und nach 2,5 Stunden in freies Waser zurückgeführt.
„Die Titanic hat auch gemeint, sie schafft das“ machte unter uns staunenden Passagieren die Runde. Alles kein Problem sagte Alvaro, „…it just takes time…“ und sei für die seit 30 Jahren arktiserfahrene Lady-Noorderlicht kein Problem.
Das Wetter besserte sich mehr und mehr, so konnten wir auch nach diesem bisher schon spannenden Tag sogar noch am Abend um 19:30 zum „Nicht-Sonnenuntergang“ auf einem Gipfel stehen. Immer schön flexibel bleiben…
Um 23:00 Uhr dann das Abendessen und ein Glas Weißwein zum Apero an Deck der Lady Noorderlicht – immer noch bei strahlendem Sonnenschein und ruhiger See.
So vergingen Tag für Tag mit großartigen Touren und Überschreitungen von Gipfeln und Landzungen, wir sahen Walrosse (klassisch auf der Eisscholle) unzählige Rentiere und einen „Eisbären“, der sich ein Rentierfell übergezogen hatte (!) und durch unser Anlanden aufgeschreckt wurde (nicht zur Freude unseres Bergführers Thomas der das Gewehr schon im Anschlag hatte).
Nach sieben Nächten auf der Noorderlicht hieß es nach einem Captains-Dinner Abschied nehmen von der Crew und nach einer letzten Skitour von der Coleminers Cabin aus die Skisäcke zu packen und wieder Richtung Heimat zu fliegen.
Auch wenn wir in diesem Jahr keine grandiosen Powderabfahrten vorgefunden haben, oder viele, viele Höhenmeter auf unser „Skitourenkonto“ schreiben konnten, ist es das Gesamterlebnis einer solchen Reise, die es zu einem wunderschönen und wirklich einzigartigen Abenteuer werden lässt. Das goldene Meer in der flachen arktischen Sonne, Licht- und Schattenspiele zwischen den weißen, spitzen Bergen die bis an den Horizont reichen, ein Abend an Deck bei spiegelglattem Meer und einer bunten, herzlichen Gemeinschaft an Bord aus acht Nationen (inkl. Crew).
Herzlichen Dank an das ganze Team – für immer gute Stimmung und Motivation, das Verständnis für Tage die nicht wie geplant verlaufen sind und eine wunderschöne Reise in eine andere Welt.