Ojos del Salado – eine Reise vom Mars zum Mond

Mit solchen Bergkameraden macht es Lust auf mehr.

Bericht von Rita Dahinden, 30.01.2020

9.- 26. 1. 2020

Eine international gemischte Gruppe – drei Schweizer, zwei Österreicher, zwei Deutsche – trafen sich spätestens in Santiago de Chile, um ihr gemeinsames Ziel anzugehen, die Besteigung des Ojos del Salado. Die Gruppe hatte einen durchaus hohen bergsteigtechnischen Palmares vorzuweisen, beruhigend war sicher auch die Anwesenheit eines bewährten Höhenmediziners unter den Teilnehmern.

Nach dem Zimmerbezug in Santiago unternahmen wir mit einem lokalen Guide eine kleine Stadtbesichtigung mit vielen Informationen zur Kultur und Geschichte des Landes. Die Spuren der landesweiten Proteste, die im Herbst 2019 begonnen hatten, waren nicht zu übersehen. So kamen wir an der ausgebrannten Metrostation vorbei und die meisten Hausfassaden in der Innenstadt waren mit interessanten Sprüchen, Fotos und anderen Graffitis bedeckt. Kulinarisch wurden wir bereits auf unser Gastland eingestellt: Ceviche und Pisco sour mundeten allen und auch das Chilenische Bier und der Wein fanden Anklang.

Am nächsten Morgen erfolgte der Flug nach Copiapo in die Atacama-Wüste. Nach dem herzlichen Empfang durch Hans, Carlos und Javier verteilten wir uns und unser Gepäck bequem auf die drei Geländefahrzeuge. Nach der Fahrt ins Valle Chico hiess es dann zum ersten Mal Zelte aufstellen. Danach erfolgte ein kleiner Akklimatisationsaufstieg auf ca. 3400m, bei dem wir bereits einen ersten Eindruck des grossen Farbspektrums der Atacamawüste erhielten. Eine Teilnehmerin erschwerte sich den Aufstieg im wahrsten Sinn des Wortes massiv, da quasi der ganze Hang aus Fossilien (Nautilus) bestand, denen sie nicht widerstehen konnte. Aber auch Achate fanden den Weg in ihr Gepäck. Von den Tierknochen ganz zu schweigen.

Der nächste Tag wurde gemütlich angegangen. Nach Ausschlafen und reichhaltigem Frühstück wurden die Zelte abgebrochen und Hans schickte uns schon mal auf den Weg, während er mit seinem Team den Rest bewältigte. Nach einer guten Stunde hatten sie uns mit den Fahrzeugen eingeholt und weiter ging’s zur Laguna Santa Rosa 3770m. Dort nächtigten die meisten im Mehrbettzimmer, man konnte aber genauso gut und mit bester Aussicht auf die Laguna und die Flamingos das Zelt aufstellen. Alle halfen jeweils mit, das Küchen- und das Esszelt aufzustellen, welche gut gegen den starken Wind gesichert werden mussten. Guten Mutes machten wir uns auf einen Spaziergang um die Laguna, der aber nach kurzer Zeit abrupt beendet wurde durch Ranger, die darauf beharrten, dass die Gegend nicht betreten werden dürfe. Durch hartnäckiges Verhandlungsgeschick von Hans durften wir dann wenigstens querfeldein zu unseren Zelten zurückgehen.

Am fünften Tag bestiegen wir in gemütlichem Tempo unseren ersten Gipfel, den Cerro Siete Hermanos 4800m. Eine wunderbare Aussicht auf die Laguna, den Salar Maricunga und den 6000er Cerro Tres Cruzes belohnte unsere Mühe.

Während der Verschiebung zum nächsten Camp an der Laguna Verde konnten wir einen ersten Blick auf unser eigentliches Ziel, den frisch verschneiten Ojos del Salado, werfen. Die Route war einsehbar und respektvoll besahen wir uns die steile Flanke, die uns bevor stand. Am Camp auf 4340m erlaubten wir uns ein erstes Bad in den Thermalquellen und zur Abkühlung diente jeweils ein Sprung in das stark salzhaltige Wasser der Laguna.

Den nächsten Tag nutzten wir für eine kleine Wanderung am westlichen, landschaftlich spektakulären Seeufer. Flamingos begleiteten uns ein Stück des Weges, Spiegelbilder der umliegenden Berge im Wasser faszinierten und die Sammlerin in der Gruppe hatte Freude am Obsidian. Nach einem frühen Abendessen ging es zeitig ins Bett, wollten wir doch am nächsten Tag mit dem Cerro San Francisco unseren ersten 6000er erklimmen.

Noch vor Tagesanbruch fuhren wir mit den Fahrzeugen zum Passo Francisco, wo wir von Schneetreiben und heftigem Wind empfangen wurden. Das konnte uns aber nicht davon abhalten, die Besteigung in Angriff zu nehmen und nach sechs Stunden standen die ersten auf dem fast windstillen Gipfel. Der mächtige Vulkan Incahuasi als Nachbargipfel ragte imposant weitere 600m höher hinauf. Während sich die ersten bereits wieder an den Abstieg machten, trudelte auch der Rest der Gruppe ein und durfte das Panorama geniessen. Beim Abstieg machte uns ein Hagelgewitter Beine und so waren wir alle sehr froh, dass wir die schützenden Autos erreichten.

Den Ruhetag genossen wir alle, konnte doch die Ausrüstung noch mal durchgesehen oder nochmals auf Flamingopirsch gegangen werden. Ein Teilnehmer verliess uns an diesem Tag, er hatte entschieden, dass er mit der Besteigung des Francisco seinen Höhepunkt erreicht hatte. Die Wettersituation mit Gewittern am frühen Nachmittag stellte sich als äusserst hartnäckig dar und so legten wir einen weiteren Ruhetag bei der Laguna Verde ein, welchen wir für einen Akklimatisationsaufstieg auf 5000m am Mulas Muertas nutzten.

Danach war es aber Zeit, das Lager zu wechseln. In wunderschöner, mystischer Stimmung – die verschneiten 6000er tauchten aus dem Nebel auf – dislozierten wir auf schwieriger Piste ins Camp Atacama auf 5300m. Wir waren auf dem Mars oder auch am Ende der Welt angekommen. An das pünktlich stattfindende Hagelgewitter hatten wir uns bereits gewöhnt. Einziger Nachteil war, dass wir dadurch am Gipfeltag bereits mitten in der Nacht losgehen würden. Doch zuerst mussten wir noch ins höher gelegene Camp Tejos wechseln. Schritt für Schritt ging es auf 5825m, wo wir die nächste Nacht, oder besser den nächsten Abend verbrachten.

Nach einem kurzen Mitternachts-Frühstück machten wir uns auf den Weg. Verschiedene Faktoren führten unglücklicherweise dazu, dass an diesem Tag niemand den Gipfel erreichte. Die letzten drei kehrten auf ca. 6500m enttäuscht um und alle traten den Rückzug zum Camp Atacama an. Der Gipfelerfolg schien verloren zu sein.

Nachdem Hans dann aber den neuesten Wetterbericht per Satellitentelefon anfordert hatte, kam für die drei Gipfelanwärter die Erleichterung: Für den nächsten Tag waren keine Gewitter angesagt, somit konnte ein weiterer Versuch gestartet werden. Um drei Uhr starteten wir das Unterfangen mit der Autofahrt zum Camp Tejos, wo wir kurz vor vier Uhr losliefen. Bei ungewöhnlich wenig Wind, dafür viel Schnee ging der Aufstieg zügig voran. Da in der Flanke sehr viel Schnee lag, montierten wir die Steigeisen und Hans führte uns auf der Direttissima zum Kraterrand, den wir nach sechseinhalb Stunden erreichten. Imponierend präsentierte sich der Gipfelaufschwung mit der kurzen Kletterstelle, den wir in weiteren anstrengenden eineinhalb Stunden überwanden. Überwältigend der Moment, in dem man den höchsten Punkt erreicht. Jede Erhebung, alles was man sieht im 360° Rundblick, liegt tiefer. Man hat es geschafft, die Endorphine fliessen. Dieser Moment gehört jedem ganz alleine. Schön, hatten wir die Gelegenheit eines zweiten Versuchs, es hat sich wahrlich gelohnt. Der Gipfelerfolg war übrigens international ausgeglichen: Auf dem Gipfel stand je ein Teilnehmer aus Österreich, Deutschland und der Schweiz.

Am darauffolgenden Morgen lag das Camp Atacama unter einer weissen Schneedecke – von wegen trockenste Wüste der Welt, wir konnten nur schmunzeln. Nach dem Lagerabbau machten wir uns auf den Weg zum Pazifik. Ca. 24 Stunden, nachdem wir auf dem Gipfel gestanden hatten, kamen wir fast 7000 Höhenmeter weiter unten im Parco Nationale Pan de Azucar an. Eine Mondlandschaft par excellence empfing uns und einige liessen sich ein Bad im Pazifik nicht nehmen. Unser Team zauberte ein wunderbares Nachtessen auf den Tisch und wir genossen den Abend noch lange unter dem prächtigen chilenischen Sternenhimmel.

Einen würdigen Abschluss bildete die Bootsfahrt zur Insel Pan de Azucar am darauffolgenden Tag. Pelikane, Albatrosse, Humboldt-Pinguine und eine ganze Kolonie Seelöwen konnten wir beobachten, imposant vor allem die Machos unter ihnen.

In Bahia Inglesia wurden wir nach der Einsamkeit am Berg brutal in die Zivilisation geworfen. An die vielen Menschen mussten wir uns erst mal wieder gewöhnen. Nach dem gemeinsamen Abschluss-Essen hiess es Abschied nehmen von unseren Guides Hans, Carlos und Javier, die während dieser ganzen Zeit unter zum Teil schwierigen Verhältnissen bestens für unser Wohl gesorgt hatten. Ich fühlte mich stets sehr gut aufgehoben. Einen riesengrossen Dank an unser Team! Danke auch an die Gruppe. Es war eine wunderschöne Zeit mit euch. Mit solchen Bergkameraden macht es Lust auf mehr.

Rita Dahinden