Mount San Valentin y el ritmo latino

Inlandeis Patagonien, Chile

Bericht von Alex Gammeter, 20.12.2019

Balmaceda, der Flughafen von Coyhaique, das ist der Ort, an welchem uns die lokale Crew empfängt. Pasquale, Javier und Andres sind genau so motiviert wie wir. Der Wirt vom Fogon Puesto Viejo zaubert uns die ersten Tomahawks und Lomos auf den Tisch, begleitet mit grandiosem chilenischen Rotwein; Cabernet Sauvignon passt bestens. Auch das Torpeo im Mamma Gaucha soll erwähnt sein, gebraut in einer kleinen Brauerei in Coyhaique. Über die beruehmte Carretera Austral erreichen wir am Mittag Cerro Castillo, wo wir mit top Blick eben diesen Cerro, der ausschaut wie eine riesen Festung bewundern. Ab hier gehts auf der Schotterpiste nach Puerto Guadal. Die Strasse ist bereits seit 6 Jahren in Renovation, wohl ein unendliches Projekt. Geschüttelt und auch gerührt von der Landschaft erreichen wir das Mallín Colorado, ein eco-resort mit vielen kleinen Bungalows, sog. Cabañas, und Blick auf den Lago Carrera General. In Puerto Guadal, einem kleinen Bauernort, machen wir die letzten Besorgungen vor dem eigentlichen Expeditionsstart. Pasquale will uns noch die Route auf der Karte zeigen, nach mühsamen Suchen seinerseits während dem Mittagessen in seinem Haus "Kalem", findet er schliesslich ein Papier, es ist ein A3 Blatt Monte San Valentín o San Clemente (der alte Name) aus dem Jahre 1975 im Massstab 1:50000. Es fällt auf, dass vieles auf der Karte einfach weiss ist, ohne Höhenlinie, es sind dies "SVE sog. zonas no restituida por falta de visión estereoscópia" bzw. Zonen die nicht kartographiert sind. Unsere "Route" bzw. der Zustieg zu unserem Berg ist häufig in diesen SVE, wie wir schnell bemerken. Ein GPS Track existiert keiner; naja, schlechte Karten und pataginosches Wetter sind jetzt nicht grad die Superkombi, aber egal; es soll ja laut Beschrieb eine "wirkliche" Expedition werden.

Motiviert und voller Enthusiasmus wandern wir nach 1h Fahrt im Schüttelbecher in gut zwei Stunden zum Lago Leon auf rund 370müM. Pasqual hat aufgerüstet am See; nicht wie die K&P Pionierexpedition im 2004 in Zodiacs, sondern mit einem flotten Plastikboot, 40 PS und 9 Plätzen übersetzen wir in einer halben Stunde ins BC. Der Bootsführer bringt uns später durch ein Labyrinth von Eisschollen zum kalbernden Glaciar Leon, eindrücklich plätschert hier das Eis in den See; wir sollen uns einfach setzen, wenn etwas grosses abbricht...genau, das klappt sicher super!

Im BC, rund 30m vom Seeufer entfernt gönnen wir uns einen Pisco, gekühlt mit 100'000-jährigem Eis des Glaciar Leon; das chilenische Apéro halt. Ca. um 10 Uhr nachts erreichen uns auch die Träger mit dem restlichen Equipment; es o es el ritmo latino.

Nach einer zweiten kurzen Bootsfahrt erreichen wir am nächsten morgen den Ausgangspunkt fuer den Aufstieg ins C1; es ist dies eine Moräne mit Wegspuren. Voll bepackt und bereits mit schweren Schuhen schlagen wir uns weiter den Weg durchs Unterholz frei und passieren Unmengen von Hochmooren und kleinen Bächen. Nach rund 3h sind wir über der Waldgrenze und wandern teils im Schnee, in Sümpfen und auf feinstem Granit. Wir finden kurz vor dem ersten "offiziellen" Lagerplatz, einbisschen windgeschuetzter und teils noch nicht im Schnee ein top Platz fuer unsere Zelte. Dieses Lager wird auch " Campo Putagonia" genannt, da es hier immer stark windet und eher ungemuetlich ist, doch wir haben das Wetter auf unserer Seite. Das ist auch der Grund, weshalb wir richtig vorwaerts machen, wer weiss wann das naechste Hoch kommt...

Wir entscheiden uns, ohne Depots zu machen, gleich Lager fuer Lager weiterzuziehen. Die Lager sind bis auf das Campo Italiano (C2) nicht wirklich definiert, sind doch nur sehr wenige Expeditionen, d.h. max., wenn ueberhaupt, eine Expedition pro Jahr, an diesem abgelegenen Berg unterwegs. Eben dieses Campo Italiano erreichen wir bereits am Nachmittag. Ab hier sind wir ohne die Hilfe von Essenstraegern unterwegs. Wiederum spaet nachts erreichen auch die Traeger das Lager und versorgen uns mit dem gefriergetrockneten Travellunch fuer die naechsten Tage auf dem patagonischen Inlandeis - el campo hielo norte, inmitten welchem sich unser Berg befindet.

Im puro ritmo latino bzw. um 11 Uhr starten wir, ausgeruestet mit vier Pulkas und Essen fuer mehrere Tage in Richtung campo hielo norte. Das Wetter schaut praechtig aus und wir ueberlegen uns, ob wir es wohl schaffen mit einem Lager auf dem Eis. Nach dem ersten Pass, dem Paso Cristal o Paso Moncho, welcher, wer haette es gedacht, zwischen dem Cerro Cristallo und dem Cerro Moncho (kopflos) liegt, verwefen wir unseren Plan mit dem einen Lager im Eis. Ist doch der Abstieg nach dem Pass deutlich laenger als aus den Erzaehlungen der Einheimischen - auch in Patagonien schmelzen die Gletscher stark, was wir spaeter am Berg auch noch zu spueren kriegen werden. Nach dem schweisstreibenden Abstieg auf das wirkliche Eisfeld traversieren wir dieses und erreichen nach einer kleinen Felsschafrte eine neue Gelaendekammer, in welcher wir zeitbedingt um 19.00 Uhr unser C3 aufschlagen. Im Sonnenuntergang geniessen wir den ersten Travellunch bspw. Nasi Goreng oder Lentils with Ham etc. und schlafen erschoepft aber gluecklich ein.

Ein weiterer Pass steht bevor, muehsahm ziehen wir abwechslungsweise die Pulkas ueber diesen noname paso und sehen den San Valentin zum erstenmal in der vollen Groesse; was fuer ein Anblick, es ist ein grandioser, maechtiger Berg zu welchem eine riesige Gletscherflaeche hinfuehrt. Diese Gletscherflaeche nehmen wir nach einer kurzen Traveserse noch am selben Tag in Angriff; das Wetter ist untypisch fuer diese Gegend weiterhin sonnig und warm. Nach gut 10km auf der Gletscherflaeche schlagen wir auf 2970m unser Campo Final, das C4 auf. Wir besprechen den morgigen Gipfeltag und geniessen wiederum einen wahnsinns Sonnenuntergang.

Am Gipfeltag starten wir um drei Uhr in der Nacht die Kocher. Es ist nicht wie angesagt sternenklarer Himmel, sondern wolkig und windig. Den Start verschieben wir um ca. 30min und verlassen das Camp unisono um ca. halbfuenf Uhr. In der mit Nebel gespickten Dunkelheit stampfen wir durch den Neuschnee in Richtung Einstieg zum Grat. Der gestrige Anblick liess es bereits vermuten, aber die vielen blau schimmernden Stellen am Zustieg zum Grat erwiesen sich deutlich schwieriger als angenommen. Schon bald koennenen wir nicht mehr am kurzen Seil gehen und richten ein "running belay" von Schraube zu Schraube ein. Der Wind wird staerker und das Eis haerter. Langsam aber sicher kommen wir voran und erreichen den kleinen Felssporn am Grat, welcher uns wenigstens einbisschen Schutz vor dem Wind gibt. Reinhard hat es hier gesehen, er sieht sich heute nicht auf dem Gipfel und beendet den Versuch. Mit Localguide Qto nimmt er den Rueckzug in Angriff. Die restlichen Sieben steigen weiter einen Verbindungsgrat empor zu einer Eisflaeche vor der eigentlichen Gipfelflanke. Der Wind nimmt stetig zu und es bilden sich hinter uns ueber dem Grat die drachenartigen und jedenfalls nicht ruhig stimmenden Wolken. Ca. 300hm vor dem Gipfel machen wir eine Pause. Anja und Hans entscheiden sich, hier mit Localguide Javier abzusteigen. Mit Elisabeth, Karl und Bernd ueberquere ich eine doch beachtliche Spalte (Elisabeth hasste mich wahrscheinlich dafuer...sorry) und wir erreichen bald die Gipfelflanke; dort blaest es so stark, dass es Elisabeth dreimal auf den Boden wirft. Doch Bernd ist stets zur Hilfe und wir erreichen gemeinsam den letzten kurzen Gipfelaufschwung. Eigenartigerweise nimmt der Wind auf den letzten Meter wieder ab...wir hoeren nur, wie dieser am Gipfel oben so richtig tobt und pfeift. Einzeln meistern wir den Gipfeaufschwung und kriechen im tobenden Wind zum Gipfel; es ist gigantisch, der Rundumblick einfach grandios!! Ganz klein erkennen wir auf dem Eisfeld unser C4. Ohne Pausenbrot machen wir uns aber gleich wieder an den Abstieg, da in den Wolken bereits die kommende Feuchtigkeit deutlich zu erkennen ist. Ruckzuck im ritmo suiza steigen wir auf derselben Route zurueck zu unseren Zelten, welche nun bereits in den Wolken verschwunden sind. Nach einer Suppe und einem "Tortilla Javier" schlaeft die gesamte Gruppe am fruehen Abend ein, sind wir doch nun mit dem Gipfeltag sechs Tage am Stueck unterwegs.

Der naechste Morgen ist wie erwartet einfach weiss, windig und schneereich, wir sind froh, den Gipfeltag vor dem Wetterumbruch hinteruns zu haben. Aus einem eintaegigen Ruhetag auf dem Eisfeld wuerden drei volle Tage mit Schneeschaufeln - es hat insgesamt knapp zwei Meter Neuschnee gegeben - Essen und Schlafen. Wobei dem Essen mit Blick auf den Vorrat immer weniger Gewicht gegeben wird. Erst am vierten Tag laesst es das Wetter einigermassen zu, dass wir aufbrechen koennen. Doch es ist nur eine kurze Freude, bereits beim ersten Gegenanstieg und vor allem Abstieg durch eine richtig fette Spaltenzone sind wir wieder im Schneesturm unterwegs. Die Gruppe konnte sich trotz des fast stuendlichen Schneeschaufelns im C4 erholen und ist stark genug in 13h ins C2 abzusteigen bzw. das C3 zu ueberspringen. Dies war eine wichtige Entscheidung, waere uns doch auf dem Eisfeld langsam Essen und Gas ausgegangen, zudem wurde das Wetter wiederum schlecht, naemlich richtig patagonisch.

Begleitet vom Wind und Schneeregen ueberpsringen wir nichmals ein Lager und gelangen in einem Tag ins BC an den Lago Leon runter. Dort erwartet uns Paquale mit einem Cerveza, eine wahre Freude wieder einmal ein kuehles Blondes zu geniessen (das warme muss noch warten..;-). Die Party im BC wird feuchtfroehlich und wahrscheinlich genauso unvergesslich wie die Tage auf dem Eisfeld; sowieso wird diese "wirkliche" und eben spezielle Expedition in tatsaechlich abgelegene und eigentlich menschenfeindliche Gegend allen Beteiligten wohl in bester Erinnerung bleiben. Obwohl nicht alle auf dem Gipfel waren hat doch jede und jeder seine persoenlichen Ziele erreicht, alle sind gesund und munter im BC, was will man mehr?! Im Sinne des Bergsteigens als neues UNESCO Kulturerbe, des Geistes der Seilschaften und der solidarischen Zusammenarbeit der Gruppe: fue genial, gracias a todos!

Alex Gammeter