Manaslu - Glück im Unglück

Up’s and Down’s am Manaslu

Bericht von Désirée Föry, 28.09.2022

Part1: Erste Erzählungen

Hier sitzen wir also in unserem gemütlichen Zelt im Manaslu-Basecamp auf rund 4800 m. ü. M. und lassen das bisher Erlebte Revue passieren. Hinter uns liegen ereignisreiche Tage: Die Anreise zum Basecamp nahm insgesamt neun Tage in Anspruch: Gestartet am Montag, 29. August in Kathmandu erreichten wir mit dem Jeep am Abend Besisahar. Tags drauf ging es mit dem Toyota Land Cruiser nach Dharapani. Ein stabiler Magen war bei diesem Gelände Trumpf. Ab dort starteten wir zu Fuss weiter nach Tilje. Durch Wälder und Flüsse. Über Brücken und durch den Monsun aufgeweichte, matschige Wege ging es in Tagesetappen nach Yak Kharka, Bhimtang und Phedi. Am Samstag, 3. September passierten wir den Larke-Pass auf 5160 m. ü. M. und erreichten Samdo am Nachmittag. In Samagon legten wir den ersten Rest-Day ein. An körperliche Erholung war jedoch nicht zu denken: Selbst eine kurze Wanderung zu dem entlegenen Kloster Pung-Gyen bringt unsere Gruppe auf über 4000 m. ü.M. ausser Atem.

Dafür sind wir nun optimal akklimatisiert. Am Dienstag, 6. September ist es nach einem steilen Zustieg endlich so weit: Die ersten Zelte des Basecamps tauchen im Nebel vor uns auf. Unter hunderten von kleinen und grossen Zelten finden wir unser Kobler & Partner-Dorf und beziehen die gemütlichen Unterkünfte – unser Zuhause für die nächsten vier Wochen.

Tags drauf werden wir aus dem erholsamen Schlaf gerissen: It’s Puja-Time. Die traditionelle Zeremonie, ohne die die Sherpas nicht über das Camp 1 hinaus gehen, findet bei Regen statt. Egal, wir sind hart im Nehmen und als Dank gibt es Butter in die Haare, Mehl ins Gesicht und Schnaps mit dem Lama im Küchen-Zelt. Wir sind startklar für die Höhenrotationen.

Die ersten Höhenmeter in Richtung Manaslu-Gipfel nehmen wir am Donnerstag, 8. September in Angriff. Wir touchieren Camp 1 auf 5800 m. ü. M. am Mittag bei strahlendem Sonnenschein und sehr hohen Temperaturen. Am Manaslu brodelt es: Zwar sind noch nicht viele Bergsteiger unterwegs, die Akustik von Eis- und Steinbrüchen begleitet uns aber den ganzen Tag.

Morgen, Samstag nehmen wir die zweite Rotation inklusive Übernachtung im Camp 1 in Angriff.

Part 2: Up’s and Down’s

Hinter uns liegen knapp zwei Wochen voller Ups und Downs – sprichwörtlich, aber vor allem wortwörtlich. Der Reihe nach: Am Freitag, 16. September haben wir unsere Akklimatisierung mit einer Rotation bis zum Camp 3 auf rund 6700 m. ü. M. erfolgreich abgeschlossen. Wir sind bereit für den Gipfel! Zurück im Basecamp legen wir unsere Gipfelstrategie zurecht. Das Wetter bereitet uns etwas Kopfzerbrechen, der Niederschlag will und will nicht aufhören. Kommt hinzu, dass die Fixseile langsam unter dem vielen Schnee versinken. Für kommende Woche sieht es nach Besserung aus – wir wollen unsere Chance packen.

Nach zwei Ruhetage starten wir somit am Montag, 19. September 2022 im Basecamp mit Gipfelambitionen. Die Zeichen stehen gut. Es scheint, als ob neben der meteorologischen Besserung genug Bergsteiger:innen und Sherpas am Berg unterwegs sind, damit wir gemeinsam die Fixseile befreien und einen Pfad spuren können. Nach zwei schneereichen Nächten müssen wir uns aber im Camp 2 der Witterung geschlagen geben: Es hat zu viel geschneit, die Seile sind unter dem metertiefen Schnee verschwunden. Damit einher geht die steigende Lawinengefahr. Wir treten den Rückweg an.

Der Meteo-Check im Basecamp zeigt, dass sich ein neues Wetterfenster für die nächste Woche auftut. War bis anhin der Monsun-Niederschlag unsere Gegner, müssen wir nun den Wind im Auge behalten. Für den Donnerstag sehen die Windverhältnisse am Gipfel machbar aus. Somit brechen wir am Sonntag, 25. September zu einem neuen Summit-push auf. Via Satellitentelefon erreicht uns im Camp 1 jedoch die Meldung, dass sich die Windprognosen derart verschlechtern haben, dass die geplante Gipfelbesteigung am Donnerstag unmöglich ist. Statt zurück ins Basecamp zu gehen, bleiben wir im Camp 1 und verschieben den Gipfeltag auf den Freitag. Während wir warten, erreicht uns die traurige Nachricht, dass zahlreiche Sherpas und Bergsteiger:innen zwischen Camp 3 und Camp 4 von einer Lawine erfasst wurden. Da damit auch die Fixseilsicherung zerstört ist und sich die Windprognosen weiter verschlechtern, brechen wir unseren Gipfelsturm zum zweiten Mal ab.

Wie sich tags drauf im Basecamp zeigt, war unsere Entscheidung goldrichtig: Wir beobachten rund 150 Personen, die den Gipfel aufgrund des heftigen Windes nicht erreichen konnten.

Unsere Motivation ist ungebrochen und wir brechen am Donnerstag, 29. September zu einem dritten Versuch auf mit dem Ziel, den Manaslu am darauffolgenden Montag zu erreichen. Von ein paar Ups und Downs lassen wir uns nicht unterkriegen. Und für die Statistik: Sollte es dieses Mal klappen, haben wir insgesamt sechsmal im Camp 1 übernachtet.

Part 3:Glück im Unglück

Mit einem Tag Verzögerung, natürlich wegen der Witterung, machen wir uns am Freitag, 30. September auf zum dritten Summit-Push. Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sehen gut aus: Wenig Wind, gute Sicht, kein Niederschlag. «Let’s do it!», «Dieses Mal schaffen wir es!, «Aller guten Dinge sind drei!» – wir sind topmotiviert. Leichten Schrittes und im Handumdrehen, weil optimal akklimatisiert, erreichen wir Camp 1. Auf in eine sechste Nacht auf 5800 m ü.M. Mit viel Sonnenschein steigen wir am nächsten Tag ein in den Eisbruch, den wir zum Camp 2 durchqueren müssen. Als wir nach dem Mittag bei unseren Zelten ankommen landen bereits erste Schneeflöckchen auf unseren erstaunten Gesichtern. Schnee? Das war nicht vorhergesagt. Im Laufe des Nachmittags entwickeln sich die Flöckchen zu veritablen Brocken – und es werden immer mehr. Als sich der Schneefall bis in die Abendstunden nicht legt, machen sich erste Bedenken breit. Klappt das so noch mit dem Gipfel?

Mitten in der Nacht werden wir von Stimmen aus dem Nebenzelt geweckt. Aufgrund des vielen Neuschnees hat sich am Hang oberhalb unseres Lagers ein Schneebrett gelöst und unsere Zeltnachbarn im Schlaf überrascht. Glücklicherweise ist niemandem etwas passiert. Mitten in der Nacht und im wilden Schneesturm bauen wir neue Zelte in sicherer Distanz zum Hang auf.

Am nächsten Morgen müssen wir nicht nur auf mehr als einen Meter Neuschnee, sondern auch auf die traurige Gewissheit blicken, dass unser Gipfelsturm im Camp 2 endgültig endet. Die Schneefälle, die erst im Verlauf des Vormittags abklingen, machen ein Weitergehen unverantwortlich riskant. Da aber auch der Rückweg aufgrund der Lawinengefahr versperrt ist, bleibt uns nur noch eine Evakuierung mittels Helikopter.

Und wenn man schon glaubt, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann; schlimmer geht immer. Während wir auf den Helikopter warten, erreicht uns via Funk die Nachricht, dass eine Lawine das Basecamp erfasst und unsere Zelte dem Erdboden gleichgemacht hat. Zum Glück ist auch hierbei niemandem etwas passiert und unsere Küchen-Crew ist mit dem Schrecken davongekommen.

Nach einer bitterkalten Nacht erreicht uns am Montagmorgen endlich der Helikopter und bringt unser gesamtes Team zurück ins Basecamp. Nachdem wir unsere sieben (leicht untertrieben) Sachen zusammengesammelt haben, treten wir am gleichen Nachmittag den Abstieg nach Samagon an. Aus dem Helikopter verabschieden wir uns am nächsten Tag von der Region, den lieben Menschen, die uns die letzten sechs Wochen begleitet und unterstützt haben, und vom Manaslu – auf Wiedersehen!

P.S.: Kathmandu begrüsst uns – drei Mal darfst Du raten – mit Regen.